
Der «Bögliständer» – wie ein niederländischer Schlosser vor 80 Jahren ohne Absicht einen Designklassiker schuf
In den 1930er Jahren hat die Schweiz einen Veloboom erlebt. Davon profitierte die Zürcher Firma Velopa. Heute ist das KMU der Marktführer für Veloparkieranlagen und tüftelt am Veloständer der Zukunft.
Was der Rolls-Royce in der Welt der Automobile ist, ist das Modell «Etage’2’plus» in der Sphäre der doppelstöckigen Veloparkieranlagen. Zu diesem Schluss muss kommen, wer Claudio Ammann zuhört. Der Geschäftsleiter der Velopa AG steht in der unterirdischen Velostation Europaplatz und demonstriert mit viel Energie, wie man hier sein Velo verstaut.
Lässig zieht Ammann an einem schwarzen Griff. Eine Metallschiene senkt sich. Dank einem hydraulisch-pneumatischen Federsystem braucht es dafür keine grosse Anstrengung. Das Velo ist dann rasch aufgeladen, und – «hopp!» – mit etwas Schub schnellt die Schiene auch schon wieder in die Höhe. «So einfach geht das.»
In der Velostation unter dem Europaplatz beim Hauptbahnhof gibt es 1600 solcher Abstellplätze. Alle wurden von Ammanns Firma gefertigt. Velopa besetzt erfolgreich eine Nische. Die Firma ist heute die Marktführerin für Veloparkieranlagen in der Schweiz.
Begonnen hat die Geschichte des kleinen Metallunternehmens vor genau achtzig Jahren in der Stadt Zürich. Damals gründete ein niederländischer Schlosser die Velopa GmbH. Der findige Einwanderer hiess Groenendal. Viel mehr als sein Nachname ist heute nicht mehr bekannt.
Was jedoch blieb, ist seine erste Entwicklung: der sogenannte Bögliständer. Dabei handelt es sich um den heute wohl am weitesten verbreiteten Veloständer der Schweiz – quasi ein simples Vorgängermodell von «Etage’2’plus». Die einfachen Halteklammern aus gebogenem, verzinktem Stahl finden sich bei unzähligen Schulhäusern, Firmensitzen und Bahnhöfen, quer durch das ganze Land, von Genf bis nach Rorschach.
Ein findiger Gründer
Noch heute verkauft Velopa jährlich Tausende von Bögliständern. «Es ist unser Long- und Bestseller», sagt Geschäftsleiter Ammann. Das Produkt sei robust, wetterbeständig und erfülle seinen Zweck. «Wir lieben es.» Was Ammann besonders gefällt: Der heutige Kultgegenstand sei ganz aus der Praxis entstanden. Kein Industriedesigner habe daran mitgearbeitet. «Erst über die Jahre entwickelte er sich langsam zum Klassiker.»
1939, als der erste Bögliständer verkauft wurde, erlebten Zürich und das ganze Land einen Veloboom. Die Fahrraddichte in der Schweiz war damals nach jener in den Niederlanden, Dänemark und Schweden die höchste Europas. Das machte sich Groenendal, der Velopa-Gründer, zunutze. Er hatte einen guten Riecher; vielleicht auch wegen Erfahrungen in seinem Heimatland. Städte und Gemeinden mussten Parkiermöglichkeiten für das aufstrebende Verkehrsmittel zur Verfügung stellen. Velopa lieferte – und die Firma tut dies bis heute. Weit über eine Million Veloparkplätze im In- und Ausland gehen auf ihr Konto.

Der Bögliständer wird noch heute zu 100 Prozent in der Schweiz hergestellt. «Das ist ein Bekenntnis zu unserem Industriestandort», sagt Ammann. In der Stadt Zürich ist die Produktion mittlerweile aber nicht mehr angesiedelt. 2001 verlagerte Velopa ihren Hauptsitz nach Spreitenbach. «In Zürich wurden die Personalkosten und Quadratmeterpreise zu hoch», erklärt der Geschäftsleiter.
Rund fünfzig Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Neben Veloparkieranlagen stellt es Poller, Unterstände und sonstiges «Stadtmobiliar» für den öffentlichen Raum her. Das verbindende Element ist Metall. Bei fast allen Velopa-Produkten handelt es sich um Gegenstände, die im öffentlichen Raum allgegenwärtig sind und doch oft wenig Beachtung erhalten. Dazu gehören etwa auch die ikonische dreieckige Autoparkplatzsperre «Autopa» oder der Velo-Anlehnbügel «Yverdon».
Digitalisierte Veloständer
Vor fünf Jahren übernahm Claudio Ammann die Führung des Traditionsbetriebs. «Wir sind ein klassisches KMU», sagt er. Er schätze die überschaubaren Strukturen und kurzen Entscheidungswege. «Was wir tun, ist handfest.» Zuvor war der Betriebswirt zwanzig Jahre lang im globalen Konzernumfeld für Sony tätig, zuletzt als Chef von Sony Schweiz und Österreich. Bei Velopa führte er verzettelte Betriebszweige zusammen und verstärkte das Marketing. Offenbar mit Erfolg: Laut Ammann steigen die Umsätze und Gewinne. «Insgesamt haben wir eine sehr gute Stellung im Markt.»
Auf den Lorbeeren ausruhen kann sich die Firma aber nicht. Nur auf die Bögliständer zu vertrauen, ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell. «Wir müssen uns laufend weiterentwickeln und uns den Bedürfnissen des Markts anpassen», sagt Ammann.
Längst gehören nicht mehr nur Gemeinden zur Kundschaft, sondern mindestens in gleichem Masse auch Privatpersonen und Unternehmen. Unweit von der Velostation am HB entsteht unter einem Neubau an der Europaallee eine private Parkieranlage mit fast 600 Plätzen, die Velopa erstellen darf. Noch etwas weiter entfernt hat Google im Erdgeschoss für jedermann einsehbar einen luxuriösen Veloraum mit speziellen Drehveloständern eingerichtet. Es ist das Modell «Karussell Parker Pro» von Velopa. Zwölf Räder können gleichzeitig daran aufgehängt werden.

Stark beschäftigt Ammann und sein Unternehmen die Digitalisierung. Längst arbeiten nicht mehr bloss Metallarbeiter für Velopa, sondern auch Informatiker. Die Firma entwickelt neue Veloparkplätze, die per App reserviert und verriegelt werden können. E‑Bikes lassen sich dort direkt mit Strom versorgen.
«Die Digitalisierung schafft ganz neue, spannende Möglichkeiten», sagt Ammann. In Entwicklung sei etwa auch eine neue Generation von smarten, solarbetriebenen Parkbänken mit Display, USB-Anschlüssen und WLAN-Verbindung. Von Städten wie Zürich wünsche er sich etwas mehr Mut, in solche Produkte zu investieren – «vor allem, wenn sie wirklich Smart Cities sein wollen».
Gegen Wildparkierer
Ammann blickt in eine rosige Zukunft. Städte wie Zürich erleben heute wieder einen Veloboom. Der Anteil der Fahrräder am Gesamtverkehr steigt stetig. «Irgendwo müssen die vielen Velos parkieren», sagt Ammann. Die Städte seien interessiert daran, Ordnung zu halten.
Als «Ärgernis» bezeichnet der Geschäftsleiter die vielen wild parkierten Velos in Zürich. «Da sollte man stärker eingreifen», sagt er. Dasselbe gelte für die aufkommenden E‑Trottinette. Bei den Autos gebe es schliesslich auch keinen Parkierwildwuchs. Natürlich spielen bei diesen Aussagen Eigeninteressen mit. Selbstredend bietet Velopa auch für Trottinette Parkierstationen an.
Text Daniel Fritzsche, Quelle NZZ
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